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Linda Maria Baros




Linda Maria Baros
wurde 1981 in Bukarest, Rumänien geboren. Sie lebt seit vielen Jahrn in Paris.

Sie hat zwei Gedichtbände und vier Theaterstücke auf rumänisch  veröffentlicht.
Auf französisch hat sie bei dem Verlag Cheyne andere drei Gedichtsammlungen publiziert:
Le Livre de signes et d’ombres (Das Buch der Zeichen und Schatten, 2004) - Preis für
      Dichterische Berufung
,
La Maison en lames de rasoir (Das Haus aus Rasierklingen, 2006) - das den
      angesehenen
Appolinaire-Preis erhielt,
      sowie auch
L’Autoroute A4 et autres poèmes (Die Autobahn A4 und andere Gedichte, 2009).

Ihre Gedichte wurden in 25 Länder übertragen.

Sie hat aus rumänisch und französisch über dreißig Bücher übersetzt.
Im Jahr 2008 gründete sie die Bibliothek ZOOM (125 übertragene und veröffentlichte Autoren), die einen Teil ihrer Übersetzungen enthalten
: www.primavarapoetilor.ro/zoom.html

Linda Maria Baros hat auf der Sorbonne im Bereich der Literaturwissenschaften promoviert und ist die Autorin mehrerer wissenschaftlicher Studienbände in französisch.

In Rumänien hat sie Le Printemps des Poètes (Der Dichterfrühling) initiiert und organisiert
(55 Städte) und ist die Leiterin der Literaturzeitschrift VERSUs/m.
In Paris ist sie stellvertretende Sekretärin des Vereins der Übersetzer rumänischen Literatur und Generalsekretärin des Collegiums für vergleichende Literatur.


Offizielle Webs
www.lindamariabaros.fr



Linda Maria Baros

Linda Maria Baros, Gedichten. Offizielle Webseite
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Linda Maria Baros


Die ausgesiebten Kinder

Für dich, auf dass du größer und schöner
            und aufrechter werdest,
            hab ich mir das Herz in zwei Teile geschnitten
            zum Huf eines Lammes.

Gestohlen hab ich und gelogen, Blut hab ich gespuckt.

Leichen gewaschen hab ich,
geschlafen hab ich auf Plastiksäcken voll Abfall,
            in Mülleimern gefunden,
            in Straßen, immer ein Messer zur Hand,
                                    hab ich geschlafen
            im Schildpatt der alten Bettler der Stadt,
                        die, dir zu Ehren, sich den Bart
                                    knöchellang wachsen ließen
            wie alte Sumerer,
            wenn sie auf Löwenjagd zogen für ihre Liebsten.

Für dich hab ich mich von den Mitternachtsgangstern
                                    heimsuchen lassen,
neben dir hab ich geweint, als du mit den Nägeln
            auf der Erde gescharrt hast wie ein Pferd
                                    mit ausgerissenen Augen,
            geweint hab ich wie die Selbstmörderin,
            deren Beine die Bahn erhitzt.

Gelebt hab ich unter Straßenkindern,
                        die Klebstoff schnüffeln, fahl
            wie ein paar in den Netzen des Äthers
                                    schaukelnde Brocken aus Stein,
            das Häckselsieb dreht sie
                                                in die Abflusskanäle hinein.

Für dich hab ich an der Kreuzung geheult, aufgestellt
            - auf etwas Geschabtes gestellt -
                        vor den Spitzen der Zuhältergabeln.
Von Schlägern hab ich mich einsacken lassen,
                        von durchtriebenen Typen,
im Lärm der schaufelgroßen Löffel,
                        die in den Blechnäpfeln klangen.

Durch die Kaschemmen bin ich geirrt,
            die rochen nach Gas, verbranntem Chipsatz,
                        nach Netzwerk,
an Pyramiden aus Wodka hab ich mich gerieben
            und auch an den Händen deiner großen Männer
- wie eine Katze sich reibt am Handbuch für Elektrizität -,
            auch meine andere Wange haben sie purpur gemacht
                        immerzu ihre Finger in meine Rippe gerammt
            sie haben mein Herz in vier Teile geschnitten
            und gelacht haben sie, „weil die Auren der Heiligen
                                                            nun einmal so sind“,
sie haben mich ausgesiebt
            gemeinsam mit deinen anderen Kindern,
            mit fremden Sprachen haben sie mich geknebelt.

In deinem Namen hab ich wie Unrat,
                        in den Hosentaschen, unter Lumpen
            robuste Verräterratten versteckt.
Genährt hab ich mit meinem Fleische
            diesen Pitbull von Knast.
Geweint habe ich, als du mit den Nägeln auf der Erde
                                                                        gescharrt hast
            ganz wie die Pferde mit den ausgerissenen Augen es tun.

Ja, für dich bin ich in diese Welt eingedrungen
            wie eine Welle aus Blut,
die ihren Weg zum Herzen nicht wieder findet.



Ich geh mit dem Engel auf die Straße hinaus

Ich geh mit dem Engel auf die Straße hinaus.
            Wie eine Kette, gewunden um meine Hand.
            Gebleicht vom Kalk an den Mauern.

Die Männer, die ich treffe,
                        lecken mir Hand und Knöchel,
                        folgen mir auf den Fuß.
Ich übergeh sie wie glühende Kohlen,
                        wie Wellen, wie Dächer.

            Ich habe keinerlei Mitleid
                        für die Männer, die mich lieben.
            Meine Kette hat in ihrem Rücken
                                    Schlangenpupillen geöffnet.

Mich grüßen all jene, die schliefen
                                    am Rand der hohen Dächer,
jene, die ihre Lungen bis in die Untiefen
                        der Gewässer trugen
            -  wie sehr schmale Jagdhunde -
            und sie dressiert haben, da unten zu atmen.

Mich grüßen, von unten, die Anderen - die Zivilisten.
                                    Von Komatose befallen.
Jene, deren Zähne man ausschlug mit einer Eisenstange.
            Gewaltige Kliniken, Kuppler.

Die vom Schicksal Enterbten grüßen mich, Prellungen, Husten.
            Unterm Bett rauchen wohl noch
                                                            die Läufe der Gewehre.

Ich ging mit dem Engel auf die Straße hinaus.
                                                            Ich komme nach Haus.
            Wie eine Kette, gewunden um meine Hand.
Dreifache Brücke. Der Verschluss des Scheitelauges

Das ist, als wolltest du, in drei Teile geschnitten,
                        den sanften Fluss Ljubljanica überqueren.
            ans Ende der Brücke treiben
                        die schuppige Kreatur vom Kirchvorplatz
                                    die sich dreht, auf der Stelle,
                        wie eine Kreissäge dreht.

Mutter in Tränen, die Gemüsetasche im Arm.
Vielleicht würde sie, mit den Händen, vom Boden lesen
            das Fleisch, das man dir von den Knochen geschabt hat.
                        Scheitelauge zu.

Mutter, sie wüsste, wie sich eine Träne in dir rundet,
                                                eingerollt wie ein wildes Tier,
                        nach dem Gesetz der kleinsten Oberfläche,
                        auf der der Schmerz sich ausbreiten kann.
Wie sich eine Träne dreht, auf der Stelle,
                        immer dunkel, wie ein Bohrer
der Strudel aus Blut, mit dem du die Stufen
                                    der Kathedrale erhitzt hast,
                                    die Mauern, die Folge der Schüsse;
            eine Träne, in der Mutter lange,
            wie für den verlorenen Sohn, die abgerissenen Nägel,
                                    die Fußsohlen wäscht.

Die Brücke dahinter ist dreifach:
                        die du entlanggehst, wenn du denn gehst,
                        die du entlangkommst, wenn du denn kommst,
                        die du entlang wieder gehst.
            Scheitelauge zu. Sein Verschluss.



Die Oortsche Wolke

Im Morgengrauen hörst du deine Knochen nicht mehr zerknacken.

Bloß Ejakulationen von gestern laufen aus deinem Körper heraus.
Geradeso wie Unterschriften:
            sie vibrieren wie seismografische Nadeln
            in einer Art verlängerten Akupunktur-
                                    einer Voodooséance.

Ejakulationen, die den porösen Platinbarren,
                        deinen alten Knochen, entweichen,
und scheiden - im Unterbewusstsein deines Stammes -
                                    wie die Geschlechter
                                    Himmel und Erde.
Die den Brustkorb durchstoßen,
            die Namen geben, den Schädel durchbohren,
die leben, die tanzen wie Flämmlein in der Luft,
            länger als der Sauerstoff rings um sie her.

Genagelt hinein. Beschnitten dein Fleisch.

Ein unsichtbarer Faden zieht sich bis zum Ursprung,
            der kläfft von fern, vom anderen Fleisch
                                    einer anderen Straße.

Du siehst sie von deinem Körper sich lösen
                        entlang des narkotischen Sprungs
in Stücke zerfallen, irgendwo außerhalb dir.

Sie explodieren. Verkleben dich.


Deutsche Fassung von Ulrike Almut Sandig.
Versschmuggel, Poesiefestivals Berlin 2011
Linda_Maria_Baros_-_gedihten_VERSschumuggel
VERSschmuggel / réVERSible

anthologie
La Passe du vent &
Das Wunderhorn
2012
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- Polyphon, Deutschland, 2011